Glossar

Kompost-Verwandschaft

Planetarische Interdependenzen stellen „methodologischen Individualismus und menschlichen Exzeptionalismus“ als ethische, disziplinäre und erkenntnistheoretische Grundannahmen infrage. Die Narrative, die diese Annahmen stützen, werden in unserer Zeit zunehmend als unzureichend erkannt, sowohl in wissenschaftlichen als auch in sozialen Kontexten. Infolgedessen gewinnt das Konzept der Sympoiesis (gemeinsames Erschaffen) an Bedeutung gegenüber der Autopoiesis (selbstbildende und selbsterhaltende Systeme) bei der Neubetrachtung unserer Welt als stets ein „Erschaffen-mit“. In diesem Zusammenhang haben Wissenschaftler:innen wie Donna Haraway „Kompost-Verwandtschaft“ (der Begriff adaptiert ihre Metapher des Komposts als Symbol für interspezifische Verbundenheit) als konzeptionellen Rahmen hervorgehoben, um anzuerkennen, dass niemand isoliert handelt; vielmehr sind es „Gruppierungen organischer Arten und abiotischer Akteure, die Geschichte machen“. Dabei betont „Kompost-Verwandtschaft“ Formen der Beziehungshaftigkeit, die über traditionelle Vorstellungen von „Abstammung oder Genealogie“ hinausgehen und komplexe ökologische und soziale Verflechtungen einschließen. Dieses Konzept unterstreicht die tiefgreifende Verbundenheit aller Lebewesen und ihrer Umwelt, und fordert uns heraus, unsere Rolle im planetarischen Ökosystem neu zu überdenken.

„Verwandtschaft“ wird als ein verbindendes Wort beschrieben – ein relationales Verständnis ohne Voraussetzung von Vertrautheit, Vorwissen oder Ähnlichkeit. Entitäten, ob menschlich oder anderweitig, „durchdringen einander“ und bilden „sympoietische“ Ensembles: Wir „werden-mit einander, erschaffen und zersetzen einander“, was Haraway dazu veranlasst, sich selbst als „Kompostistin“ zu bezeichnen (nicht als Humanistin oder Posthumanistin). Als regenerativer Prozess sind Komposte metabolische Austauschvorgänge zwischen organischem Material, angetrieben durch Mikroorganismen und chemische Elemente wie Sauerstoff und Stickstoff. Sie schmieden nicht nur Gemeinschaften verschiedener Lebensformen, sondern dienen auch als Grundlage für zukünftiges Leben. „Kompost-Verwandtschaft“ ist eine interdependente Perspektive, aus der heraus Erzählungen jenseits des menschlichen Exzeptionalismus erfunden werden können. Sie bietet ein Modell für die Koexistenz verschiedener Arten (multispezies Koexistenz – beschreibt das Zusammenleben verschiedener Arten – menschlich und nicht-menschlich – in einem gemeinsamen ökologischen und sozialen Gefüge) und für Praktiken der Umweltgerechtigkeit, wie sie in Haraways utopischen „Geschichten der Kompostisten“ entworfen werden.

Autorin: Patricia Reed