Joanna Warsza (seit Oktober 2024 Stadtkuratorin Hamburg) und Nora Sternfeld (Professorin für Kunstpädagogik an der HFBK Hamburg) sprechen über Kunst im öffentlichen Raum, die Funktion von Gegen-Monumenten und das Potenzial, Denkmäler performativ für die Gegenwart lebendig zu machen.
Beate Anspach: Wie versteht Ihr öffentlichen Raum? Wodurch zeichnet er sich aus? Joanna Warsza: Für mich ist der öffentliche Raum ein Ort, an dem wir als Menschen – als Lebewesen überhaupt – trotz und dank unserer Unterschiede aufeinandertreffen. Es ist ein Ort, an dem wir diese Unterschiede aushandeln müssen. Das ist eine Herausforderung, und die Kunst ist eine Sprache, die uns bei diesen komplizierten Begegnungen helfen kann. Auch deshalb halte ich es für wichtig, sich mit dem Leben im öffentlichen Raum auseinanderzusetzen.
Joanna Warsza: Für mich ist der öffentliche Raum ein Ort, an dem wir als Menschen – als Lebewesen überhaupt – trotz und dank unserer Unterschiede aufeinandertreffen. Es ist ein Ort, an dem wir diese Unterschiede aushandeln müssen. Das ist eine Herausforderung, und die Kunst ist eine Sprache, die uns bei diesen komplizierten Begegnungen helfen kann. Auch deshalb halte ich es für wichtig, sich mit dem Leben im öffentlichen Raum auseinanderzusetzen.
Nora Sternfeld: Dem kann ich nur zustimmen. Und ich denke, dass wir in einer komplizierten Zeit leben, denn das einst Öffentliche wird immer privater, obwohl die Öffentlichkeit in Gesprächen und Diskussionen ständig Erwähnung findet. Es wird in allen möglichen Zusammenhängen von „öffentlichen Programmen“, „öffentlichen Veranstaltungen“ und „öffentlichen Einrichtungen“ gesprochen. All diese Orte werden jedoch zugleich unsicherer oder privater. Deshalb ist es wichtig, darüber nachzudenken, was öffentlicher Raum heute bedeutet und was es braucht, um einen Raum zu schaffen, in dem wir etwas verhandeln können. Vor diesem Hintergrund scheint es entscheidend, die Frage nach dem Öffentlichen mit der Frage nach den Commons zu verknüpfen. Irgendwie ist es dem Neoliberalismus gelungen, der Öffentlichkeit das „Eigentum“ zu entziehen. Deshalb erstaunt es uns auch nicht, dass ein öffentlicher Raum zugleich privat sein kann. Das ist aber ein Widerspruch in sich, den wir gar nicht mehr wahrnehmen können. Bringen wir das Konzept der Commons ins Spiel, wird klar, dass wir wieder über die Frage des Eigentums diskutieren müssen. Einerseits geht es also bei der Öffentlichkeit um das, was zwischen uns ist und was Stoff zum Konflikt bietet, aber eben auch die Möglichkeit, Dinge anders zu machen. Andererseits – wenn wir den öffentlichen Raum unter dem Aspekt der Commons denken – ist es wichtig, das Private wieder zurückanzueignen, sodass es erneut in den Besitz aller übergeht. Und wenn wir über den öffentlichen Raum sprechen, dann war dieser historisch gesehen auch öffentlich im Sinn von allgemeinem Eigentum.
Joanna Warsza: Ich komme aus einem osteuropäischen Land, wo es ein kommunistisches Regime gab, in dem theoretisch alles öffentlich war. Und die Geschichte zeigt uns, dass der private Raum zu einem politischen Raum werden kann, der die sogenannte öffentliche Sphäre schmiedet. In der kommunistischen Welt waren die Straßen zwar formell öffentlich, doch in Wirklichkeit wurden sie von einer einzigen Ideologie vereinnahmt und kontrolliert. So war die Küche von jemandem vielleicht viel eher ein öffentlicher Raum als die Straße. Es gibt zum Beispiel eine eigene Geschichte der „Wohnungskunst“ in verschiedenen Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Bei der Unterscheidung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen ging es nicht so sehr um Eigentum, sondern um die Freiheit des Ausdrucks. Es ging um die Werte, denen man folgen wollte, es ging um den öffentlichen Raum, nicht allein um den konkreten Raum. Vielleicht müssen wir zwischen diesen beiden Themen unterscheiden. Es gibt den öffentlichen Raum, und natürlich ist es wichtig zu verstehen, wem er gehört. Aber es gibt auch den öffentlichen Raum als Arena, in der wir uns treffen, einschließlich der digitalen Sphäre natürlich.
Nora Sternfeld: Du hast völlig Recht. Denken wir über die Geschichte des Begriffs nach, im Sinne von Jürgen Habermas, der erklärt, wie die Öffentlichkeit ihren Anfang nahm – sie begann als etwas Klandestines. Ja, noch vor den Kaffeehäusern entstand sie innerhalb dieser klandestinen Gemeinschaften („Tischgesellschaften“). Denn damit die öffentliche Sphäre existieren konnte, war es notwendig, die Perspektive auf die Wahrheit irgendwie zu verschieben, weg von der Kirche und dem Adel. Diese Inbesitznahme der Öffentlichkeit lässt sich zum Beispiel auch an der Geschichte des Museums ablesen. Der Louvre ist dafür ein Paradebeispiel – ein Ort, an dem Objekte, die einst der Kirche, dem Adel und dem König gehörten, für jedermann zugänglich gemacht wurden. Er wurde zu einem Ort, an dem die Objekte als Gemeingut betrachtet wurden. Sie wurden von der Öffentlichkeit erneut in Besitz genommen. Ich denke also, dass beide Perspektiven zutreffen. Um sich die Öffentlichkeit wieder anzueignen, darf man den klandestinen Aspekt nicht außer Acht lassen. Dem stimme ich zu. Und leider wird in der Welt, in der wir leben, noch vieles in verborgeneren und informellen Kontexten geschehen müssen, damit andere Vorstellungen und Möglichkeiten für die Commons entstehen können.
Beate Anspach: Der Konflikt zwischen privatem und öffentlichem Raum ist, denke ich, auch für die spezifische Situation in Hamburg relevant. Wenn man sich etwa Stadtteile wie die HafenCity anschaut, entpuppen sie sich am Ende oft als private Räume. Da stellt sich fortwährend die Frage, wie man mit diesen privaten Räumen umgeht und wie man sie in einen öffentlichen Raum verwandeln kann. Welche Rolle kann die Kunst in diesem Prozess spielen?
Nora Sternfeld: Darüber zu sprechen ist wichtig. Ebenso entscheidend ist es, jene doppelte Funktion zu diskutieren, die Kunst im öffentlichen Raum innerhalb des neoliberalen Kapitalismus einnehmen kann. Oft liegt der Schwerpunkt auf großen Gedanken und großen Namen, die zu solchen Projekten eingeladen werden, was letztlich zur Gentrifizierung von Städten beiträgt. Die Projekte ziehen Tourismus an, und infolgedessen steigen die Mieten weiter. Oder wir entwickeln ein anderes Verständnis, und dafür würde ich mich aussprechen. Nehmen wir Park Fiction zum Beispiel. Das Projekt repräsentiert eine Initiative der Bevölkerung, die in einem Stadtteil Widerstand gegen die Mechanismen der Kapitalisierung leistet. Das ist Teil der Geschichte der Kunst im öffentlichen Raum hier in Hamburg: die Arbeit zu teilen und das Selbstverständnis von Kunst in diesen Kontexten zu formen. Seit den 1980er-, 1990er- und 2000er-Jahren steht die Entwicklung von Gegenentwürfen und alternativen Räumen im urbanen Umfeld besonders im Fokus. Ich denke also, dass es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten gibt – und eine davon ist definitiv die bessere.
Joanna Warsza: Vielleicht liegt es daran, dass Hamburg im deutschen und europäischen Kontext eine handelsorientierte Stadt ist. Möglicherweise ist die Spannung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen notwendig, damit etwas Neues entstehen kann. Bemerkenswert ist auch, dass Hamburg trotz der starken Privatisierung und der fortlaufenden Entwicklung der HafenCity mit ihren ständigen Bauarbeiten die einzige deutsche Großstadt ist, die kein Kunst-am-Bau-Programm hat, im Vergleich zu München beispielsweise. Wann immer in München etwas gebaut wird, wird ein Prozent des Budgets für Kunst ausgegeben. Man könnte argumentieren, dass dies natürlich Teil des Gentrifizierungsprozesses ist, aber es sind immer noch große Budgets, mit denen Künstler:innen unterstützt werden. Im Gegensatz dazu haben die Hamburger Behörden 1981 bekanntlich beschlossen, das Programm Kunst am Bau einzustellen, weil sie es für zu konservativ hielten. Ich schätze die Ideen, die diese Stadt für das Verständnis von Kunst im öffentlichen Raum durch ihren experimentellen Ansatz entwickelt hat. Das war bereits vor 44 Jahren und auch das Amt der Stadtkuratorin zählt dazu. Doch ich frage mich auch, ob Künstler:innen nicht eine aktivere Rolle beim Aufbau und der Erweiterung der Stadt spielen könnten – wie also lassen sich beide Aspekte verbinden? Das Ephemere und das Substanzielle?
Nora Sternfeld: In diesem Semester bieten wir ein transdisziplinäres Seminar mit dem Titel „Monumente, Dokumente, Momente“ an. Der Titel trägt viele Bezüge in sich. Einer davon ist der Katalog, den Joanna für ihr Programm im öffentlichen Raum in München erstellt hat und der die Projekte dokumentiert, die sie dort realisierte. Auf dem Cover ist ein Werk des rumänischen Künstlers Dan Perjovschi, der das Wort „Monumente“ mit dem Wort „Momente“ visuell gespiegelt hat. Zwischen den Monumenten und den Momenten, die in Joannas Projekten vorgeschlagen werden, haben wir uns daher entschieden, für den Titel unseres Seminars das Wort „Dokumente“ einzufügen, weil wir uns auch sehr für das Archiv und die Geschichte der Kunst und des öffentlichen Raums interessieren. Wir betrachten die Geschichte mit den Studierenden und fragen uns gleichzeitig: „How common is public art in Hamburg?“ Diese Frage hat zwei Bedeutungen. Die erste ist: Wer weiß eigentlich davon? Wir mussten feststellen, dass die Studierenden die Geschichte der Kunst im öffentlichen Raum in Hamburg nicht kennen, was bedauerlich ist, denn sie ist sehr interessant. Die zweite Bedeutung, die wir diskutierten, dreht sich um die Öffentlichkeit und das Gemeingut in den neoliberalen Städten, in denen wir leben. Um diese Geschichte zu erforschen, haben wir einen Begriff diskutiert, der in den letzten 20 oder 30 Jahren in Bezug auf die Geschichte der Denkmäler wichtig war: den Begriff „Gegen-Monument“. Dass er tatsächlich in Hamburg geprägt wurde, hat uns fasziniert, das wussten wir nicht. Er wurde von der Kulturbehörde genutzt und bezog sich auf das 1934 von Richard Kuöhl erbaute Kriegsdenkmal am Dammtor. 1982 wollte die Stadt Hamburg das Kriegsdenkmal durch einen künstlerischen Kommentar mit kritischer Perspektive ergänzen und schrieb einen öffentlichen Wettbewerb für ein sogenanntes Gegen-Monument aus [1]. Später hörte James Edward Young davon, wurde neugierig und übernahm den Begriff, als er seinen wichtigen Text über Gegen-Monumente schrieb [2]. Das Gegen-Monument ist gewissermaßen ein Widerspruch in sich. Doch gleichzeitig zeigt sich darin die Fähigkeit der Stadt, etwas Kritisches mit ihren eigenen Mitteln entstehen zu lassen, was mir ausgesprochen demokratisch erscheint. Es verdeutlicht auch die Offenheit und den Pluralismus der Stadt.
Beate Anspach: Wenn wir uns die Geschichte anschauen, sowohl in Hamburg als auch anderswo, gab es stets erhebliche Konflikte um Werke im öffentlichen Raum. Besonders im Zusammenhang damit, wie man Kunst im öffentlichen Raum den Menschen besser vermitteln kann. Was nimmst du also als Vermittlerin mit, hinsichtlich dessen, was du aus der konfliktreichen Geschichte um den öffentlichen Raum gelernt hast?
Nora Sternfeld: Für mich liegt die größere Herausforderung in Bezug auf die Geschichte der Kunst im öffentlichen Raum nicht darin, dass die Menschen sie hassen, sondern dass sie sie überhaupt nicht wahrnehmen.
Beate Anspach: Wie das Werk von Sol LeWitt Black Form – Dedicated to the Missing Jews aus dem Jahr 1989?
Nora Sternfeld: Ja, oder das Denkmal von Esther Shalev-Gerz und Jochen Gerz in Harburg, das nicht mehr sichtbar ist. Für mich ist das die viel größere Herausforderung. Und es wirft die interessantere Frage in Bezug auf Bildung auf. Denkmäler müssen einen Gegenwartsbezug bekommen. Deshalb sind die Momente so wichtig. Es geht um die Fortschreibung. Es geht darum, wie kollektives Erinnern funktioniert. Dass das Denkmal von Esther Shalev-Gerz und Jochen Gerz in Vergessenheit geraten ist, hängt auch mit dem zusammen, was wir zuvor besprochen haben: der Privatisierung ¬– dass wir an einem Ort leben, der in mancher Hinsicht weniger öffentlich ist, andererseits leben wir auch in Zeiten großer Konflikte. Dies alles gehört zur pädagogischen Dimension von Kunst im öffentlichen Raum.
Joanna Warsza: Denkmäler erinnern nichts selbst. Das hat auch Michael Rothberg in seinem Vortrag in Hamburg auf Kampnagel gesagt. Wir sind es, die erinnern. Deshalb ist der Gegenwartsbezug so wichtig. Und natürlich auch die Frage: Wer ist dieses „Wir“? Denn es liegt auf der Hand, dass viele dieser Denkmäler in öffentlichen Räumen geschaffen wurden, die von einem singulären, oft maskulin geprägten Raumverständnis oder von einer dominanten nationalen Identität bestimmt werden. Wie können diese Denkmäler für Postmigrant:innen sprechen und auf welche Weise? Wie gehen wir damit um? Ich denke, das ist auch eines der Themen für uns, und für mich.
Beate Anspach: Das ist ein wichtiger Punkt: Öffentlicher Raum ist nicht von Natur aus demokratisch. Es gibt auch faschistische öffentliche Räume. Wie können wir also Räume schaffen, die möglichst viele Menschen auf demokratische Weise ansprechen? Welche Rolle kann Kunst dabei spielen?
Joanna Warsza: Wir versuchen zu beweisen, dass Kunst diese Räume schaffen kann, und in seltenen Fällen gelingt ihr das auch. Wenn es funktioniert, kann sie tatsächlich Gemeinschaften bilden und bestimmten Werten eine ontologische Gestalt geben. Als Kuratorinnen und Pädagoginnen gehört es zu unserem Auftrag, an die Wirkmacht der Kunst zu glauben. Ein Beispiel: Im vergangenen Frühjahr habe ich das Projekt Radical Playgrounds: From Competition to Collaboration gemeinsam mit Benjamin Foerster-Baldenius am Gropius Bau in Berlin kuratiert, es funktionierte als großer Spielplatz – nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene. Es entstand aus meiner eigenen Erfahrung als Elternteil, der sich auf Spielplätzen oft langweilt und vorstellt, dass sie stattdessen ein Skulpturenpark sind mit anderen Bedeutungsebenen. Das Projekt war für Erwachsene, für Passanten oder einfach jeden, der nicht weiß, was er im Museum soll. Es war ein parasite, ein Gelände abseits der Norm, etwas Verspieltes außerhalb der ernsthaften Institution, ein Experiment darüber, wie öffentlicher Raum ein Ort sein kann, an dem wir uns trotz unserer Unterschiede begegnen. Wir haben Pluralismus erkundet, die Spannungen zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen, und wie diese sich im öffentlichen Raum entfalten können. Wenn es gelingt, ist das sehr erfüllend und vertieft die menschliche Beziehung – es ist der Moment, in dem wir uns durch Kunst verbinden, sogar über das Menschliche hinaus. Es berührt etwas Grundlegendes, wie die Kategorie des Spiels. Spielen ist ein tiefes menschliches Bedürfnis, und es transzendiert Kultur, es ist transnational. Es sind nicht bloß Spiele; es sind Gespräche, bei denen es Regeln gibt, aber wir wissen nicht, wohin sie führen werden. Einen gemeinsamen Nenner durch das Spiel im öffentlichen Raum zu finden ist essenziell. Jeder Mensch hat eine Beziehung zum Spielen. Es kann viele Formen annehmen – Spiel, Flirt oder mehr. In dieser polarisierten Zeit ist es entscheidend, diese Gemeinsamkeiten zu entdecken. Luft und Wasser beispielsweise sind verbindende Elemente, sie bringen uns zusammen. Sie sind unverzichtbar – etwas, das wir alle zum Überleben brauchen, ungeachtet unserer Unterschiede.
Nora Sternfeld: In gewisser Weise sind Konflikte entscheidend für die Entwicklung eines demokratischen Verständnisses der Öffentlichkeit. Aber das bedeutet natürlich nicht, dass alles möglich ist. Für ein demokratisches Verständnis des Öffentlichen ist es ebenso wichtig, Wege zu finden, undemokratische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Und dabei geht es nicht nur um Gegen-Monumente. Es geht darum, diese Dinge deutlich zu machen, einen Raum der Offenheit und Debatte zu schaffen, der es vermag, faschistischen und undemokratischen Auffassungen den Zugang zu versperren. Das erzeugt Spannungen, aber ist auch die Grundlage für Möglichkeiten. Nehmen wir zum Beispiel das Gegen-Monument. Es geht nicht nur darum zu sagen: „Unsere Realität ist die des Pluralismus.“ Es geht nicht bloß um eine weitere Möglichkeit, sondern um einen Raum, der das herrschende Narrativ, aber auch undemokratische Sichtweisen herausfordert.
Joanna Warsza: Eine Interpretation des Wortes „performativ“ besagt, dass es eine Wirkung erzeugt. Das kann kurzlebig sein, und eine Revolution ist kurzlebig, oder? Aber sie hat dennoch eine Wirkung. Etwas ist also sowohl in seiner Form als auch in seiner Funktion, in seinen Konsequenzen performativ.
Beate Anspach: Wir haben viel über historische Positionen und Projekte gesprochen. Was ist dein Eindruck von dem gegenwärtigen Hamburg?
Joanna Warsza: Mehr als in anderen europäischen Städten habe ich das Gefühl, dass Hamburg aus vielen verschiedenen „Hamburgs“ besteht. Die Gegend um den Hauptbahnhof beispielsweise kann verstören, wenn man nachts unterwegs ist. Ich habe dort eine Zeit lang gewohnt. Das mulmige Gefühl auf dem Heimweg erinnerte mich daran, was wir in Europa oft als gegeben betrachten: die Sicherheit im öffentlichen Raum. Diese Gegend sehe ich als echte Herausforderung und ich frage mich, was man tun könnte, um sie zu verbessern. Für mich ist das eine Übung im Verständnis des öffentlichen Raums. Aber dann steigt man aufs Fahrrad und ist binnen Minuten in einem wohlhabenden Viertel voller Villen. Und wenn man zu Park Fiction fährt, erlebt man eine völlig andere Seite der Stadt, eine, die von Aktivismus und Widerstand geprägt ist. Das ist faszinierend, aber auch ein wenig extrem, wie man innerhalb von nur einer halben Stunde so unterschiedliche „Hamburgs“ erleben kann. Und natürlich gibt es den Hafen, der inmitten all dessen eine so magnetische Ausstrahlung hat. In einer Stadt zu leben, in der all diese Strömungen spürbar sind – sowohl die guten als auch die schlechten, die Höhen wie die Tiefen –, ist beeindruckend und herausfordernd zugleich. Die Geschichte Hamburgs, geprägt vom Handel und dem globalen Austausch von Waren und Gedanken, hinterlässt ein komplexes, oft ausbeuterisches Vermächtnis. Auch hier zeigt sich aufs Neue: Es ist eine Stadt der Kontraste, die Mischung basiert auf der Differenz. Und das ist ein guter Ausgangspunkt. Viele Hamburgs, mit denen man leben und arbeiten kann.
Dieses Gespräch wurde erstmals im Februar 2025 in Lerchenfeld Nr. 73 veröffentlicht, dem Magazin der HFBK Hamburg.
Übersetzung ins Deutsche © Anna Katt Company · Nolte + Jacobs GbR.
[1] Der Entwurf des in Wien ansässigen Künstlers Alfred Hrdlicka wurde aus dem offenen Wettbewerb ausgewählt und sollte ursprünglich aus vier Teilen bestehen. Letzlich wurden zwei Teile realisiert. Im November 2015 wurde das Deserteursdenkmal zwischen dem Kriegsdenkmal und dem Gegendenkmal eingeweiht.
[2] James E. Young, The Counter-Monument: Memory against Itself in Germany Today, in: Critical Inquiry, Vol. 18, No. 2, The University of Chicago Press, 1992, S. 267-296.