Stadtkuratorin Hamburg


"Stadtkuratorin Hamburg" ist ein Initiativprojekt der Freien und Hansestadt Hamburg. Es wird gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg aus Mitteln des Programms Kunst im öffentlichen Raum. Die Leitung des Initiativprojekts ist auf jeweils zwei Jahre befristet.

Die erste Ausgabe 2014 bis 2016 wurde von Sophie Goltz kuratiert.

Für die zweite Ausgabe 2018 bis 2020 hat Dirck Möllmann die künstlerische Leitung übernommen. Zu seinem Programm HAMBURG MASCHINE wurden internationale Künstler*innen eingeladen, themenbezogene, zeitlich befristete Arbeiten im öffentlichen Raum der Stadt zu realisieren.

Dirck Möllmann ist es gelungen, einen Großteil seines Programms zu realisieren. Am 21. September 2019 ist er an einer wiederkehrenden Krebserkrankung verstorben.

 



Kojote-Diskurs

Nachruf auf Dirck Möllmann (1963–2019)
von Bettina Steinbrügge


Der „Kojote-Diskurs“– nach Donna Haraway eine Art wildes, erfinderisches Sprechen – war ein Begriff, den Dirck Möllmann in den Hamburger Diskurs um Kunst im öffentlichen Raum einbrachte. Der gerade auch für Hamburg „wilde“ Begriff sollte den teilnehmenden Künstlerinnen und Künstlern offene Räume bieten, in denen sie in größtmöglicher Freiheit die eigenen Motive und Arbeitsweisen vorstellen können. Wenn man ihn nach seiner beruflichen Tätigkeit fragte, antwortete er zumeist, er „arbeite mit Künstlern“. Und das bringt es ziemlich gut auf den Punkt: Dirck Möllmann ging es nicht nur um die Großartigkeit der einzelnen künstlerischen Werke, sondern eben darum, mit Künstler*innen zu arbeiten und deren Ideen Wirklichkeit werden zu lassen. Dieser Ansatz fand mit seinem Tod am 21. September 2019 ein viel zu frühes Ende.

Ich lernte Dirck 2001 kennen, als ich gerade Halle für Kunst Lüneburg e.V. übernommen hatte und ich mit ihm meine allererste Veranstaltung, die ich als Kuratorin mitorganisiert hatte, machte. Wir, Heike Munder und ich, hatten den Video Club 99 (1999–2009) eingeladen, ein Programm, das er gemeinsam mit Frank Barth und Kathrin Busch an der Hamburger Kunsthalle gegründet hatte und das die hervorragende Mediensammlung des Museums durch Veranstaltungen und Kooperationen mit anderen Kunstinstitutionen öffentlich zugänglich machte. Sie zeigten damals in Lüneburg u.a. Arbeiten von Eleanor Antin, Carolee Schneemann und Hannah Wilke. Es ist seit diesem Abend des 6. Dezembers, dass sich unsere Wege immer wieder kreuzten, und dass ich diesen charmanten, eloquenten, klugen, unabhängigen und empathischen Menschen sehr zu schätzen lernte.

Dirck Möllmann studierte Kunstgeschichte, Philosophie, Literaturwissenschaften an der Universität Hamburg und schloss 1996 bei Prof. Dr. Monika Wagner sein Studium mit der Magisterarbeit über die Inszenierung von Natur und Wahrnehmung bei Robert Smithson ab. Seine Auseinandersetzung mit Smithson sollte sich durch seine gesamte berufliche Laufbahn ziehen, insbesondere ab dem Zeitpunkt, an dem er sich mehr und mehr der Kunst im öffentlichen Raum verschrieb. Aber dazu später.
Begonnen hat Dirck seine Laufbahn an der Hamburger Kunsthalle, an der er von 1996 – also direkt nach seinem Studium – bis 2009 als freier Mitarbeiter im Bereich Mediensammlung und zeitgenössischer Kunst tätig war. Er begann seine Arbeit mit der Einrichtung von Künstlerräumen der 1997 eröffneten Galerie der Gegenwart, die unter dem Namen EIN|RÄUMEN firmierte und mit der der damalige Direktor Uwe M. Schneede die Programmierung in dem neuen Gebäude startete. Für das Ausstellungsformat STANDPUNKT assistierte er als Ausstellungskurator, er co-kuratierte die Ausstellung „MAN SON 1969. Vom Schrecken der Situation“ (2009) und für „Roman Signer. Projektionen – Filme und Videos 1975–2008“ (2009) adaptierte er das Ausstellungskonzept aus dem Züricher Helmhaus. Im Zeitraum von 2006–2008 katalogisierte und digitalisierte er zudem die Bestände der Medien- und Audiosammlung.
Dirck war zwischen 2002 und 2009 an sehr vielen wichtigen Projekten, die den Diskurs in der Stadt, wie auch weit darüber hinaus, prägten, beteiligt. Von 2002 bis 2008 arbeite er als Kurator mit der Galerie für Landschaftskunst zusammen, ein 1992 gegründeter Künstler-Projektraum, der sich bis heute maßgeblich für die künstlerische und interdisziplinäre Arbeit an Vorstellungen von Natur, Landschaft und Stadt einsetzt und den deutschen Diskurs langfristig geprägt hat. In derselben Zeit war er zudem Kurator für STILE DER STADT, eine der ersten und bis heute auch fast einzigen Plattformen für Kunst und neue Medien im öffentlichen Raum und arbeitete als Redaktionsmitglied beim Online-Projekt The Thing Hamburg. In dieser Zeit entwickelte sich sein profundes Wissen um die Kunst im öffentlichen Raum, schärfte sich sein Diskurs in der Zusammenarbeit mit Künstler*innen wie Mark Dion oder Ulla von Brandenburg und entdeckte er selbst sein ausgeprägtes diplomatisches Geschick in der Zusammenarbeit mit anderen.

In 2009 wechselte Dirck Möllmann an das Skulpturenprojekt kunstwegen raumsichten nach Nordhorn in der Grafschaft Bentheim. Bis 2012 realisierte er Projekte mit Tamara Grčić, Eva Grubinger, Folke Köbberling/Martin Kaltwasser, Paul Etienne Lincoln, Marko Lulić, Hans Schabus, Christoph Schäfer, Willem de Rooij und Antje Schiffers. Gerade die Installation des österreichischen Künstlers Hans Schabus war spektakulär, schickten Künstler und Kurator doch eine vollständige Stahlfachwerkbrücke auf die 1000 km lange Reise vom österreichischen Deutschlandsberg, wo sie den Fluß Laßnitz querte, nach Ohne in der Grafschaft Bentheim, wo sie bis heute die Vechte kreuzt. An dieser Stelle kommt wieder Robert Smithson ins Spiel, lässt sich doch von Dircks Arbeit im öffentlichen Raum immer stärker der Einfluss Smithsons ablesen. Dessen objekthafte Arbeiten, die auf der konzeptionellen Schwelle zwischen Kunst und Nicht-Kunst liegen, arbeiten stets mit der Verunsicherung des Betrachters in Bezug auf die Unterschiede zwischen der mutmaßlichen theatralischen Aura einer Plastik und der normalen Räumlichkeit eines Objektes. Dieser Ansatz findet dann später in Hamburg seinen konzeptionellen Abschluss.

Von Nordhorn geht es dann 2012 als Kurator ans Institut für Kunst im öffentlichen Raum in die Steiermark, das dem Universalmuseum Joanneum in Graz angegliedert ist. Hier begann er – gemeinsam mit Elisabeth Fiedler – mit einem Vermittlungsprojekt zu Kunst im öffentlichen Raum, in dem Künstler*innen sich intensiv mit Kurator*innen über Vermittlungsfragen auseinandersetzten, um darauf aufbauend in einer Vortragsreihe die Frage nach der „Sozialen Skulptur“ zu beleuchten. Dies bot den adäquaten thematischen Rahmen, um in den darauffolgenden Jahren wichtige Projekte mit u.a. Tamara Grčić, Joseph Kosuth, Susan Philipsz, Tue Greenfort, Bojan Šarčević und Atelier Van Lieshout zu realisieren. Ihm ging es dabei jederzeit darum zu klären, welche politischen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Themen sich durch Kunst im öffentlichen Raum erschließen lassen. Das Kunstprojekt Politische Landschaft war z.B. der Versuch, das Thema Erinnerung und kollektives Gedächtnis im Kontext der spezifischen Landschaft des Salzkammerguts und seiner politischen Geschichte – eine Landschaft, die während des Nationalsozialismus eine unrühmliche Rolle spielte – in mehreren Schritten neu zu platzieren und die Auswirkungen dieser Geschichte bis heute zu reflektieren. Dort kulminierten die Ereignisse bis zum Mai 1945 um Kunstraub, Verrat, aktiven und passiven Widerstand, Flucht und Mord. Die Komplexität und Widersprüchlichkeit dieser Zeit hat bis heute normative Auswirkungen, was dem Kunstpublikum unter größten Anstrengungen bewusst gemacht wurde.

„Hamburg Maschine“ hieß dann das Motto des Programms Stadtkuratorin, das von Dirck Möllmann seit 2018 geleitet wurde. Mit diesem Programm wollte er über zwei Jahre internationale und lokale Künstler*innen einladen, den digitalen Wandel, Fragen von Datensicherheit und Mitbestimmung sowie den Umgang mit natürlichen Ressourcen zu beleuchten. Es ging ihm um Digitalität im öffentlichen Raum. Damit meinte er nicht Glasfaser- und WLAN-Netze, sondern die sich wandelnde Kommunikationskultur, die unser Leben umwälzt und sich auf die Produktion von Gegenständen, Werten und Kunst auswirkt. Die Frage lautete für ihn: Wie gehen wir mit dieser Veränderung um?
In den frühen Gesprächen über „Hamburg Maschine“ machte er schnell deutlich, dass er keine Gastspiele in den bestehenden Institutionen wünschte, sondern wie Smithson nach Nicht-Orten suchte, nach Orten des öffentlichen Lebens, an denen sich Menschen treffen, die oft nicht mit Kunst in Berührung kommen. Für Dirck war die Stadt Hamburg, wie andere Städte auch, folgendermaßen definiert: „Die heutige Stadt war eine repräsentative Bühne, eine produktive Fabrik, eine planerische Infrastruktur, eine gebaute Physikalität und eine soziale Tatsache.“ Er begann seine Arbeit folgerichtig mit dem Projekt ElbBienen, das das Verschwinden der Honigbiene thematisierte. Sie besteht aus einem neu geformten Bienenstock, der Live-Daten von Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Bilder der Bienen aufzeichnet. Die gewonnenen Daten aus dem Stock und einem Zwillingsobjekt in Brüssel sind noch bis zum 31. Juli 2020 in einer Ausstellung im Goldenen Pavillon in Entenwerder zu sehen.
In der Hamburger Kirche St. Katharinen fand – einige Projekte später – am 22. September 2019 die Performance „Temple of Artifice“ des kanadischen Künstlers Michael Dudeck statt. Der Erfinder der Queer Religion hat in seiner künstlerischen Sprache Elemente aus verschiedensten Religionen und mystischen Bewegungen zusammengebracht und einen digitalen Tempel für diese neue Religion gebaut. Dies an einem Ort der christlichen Religion zu erleben, war eine außerordentlich beeindruckende Erfahrung.
Beeindruckend war auch die Videosimulation „Western Flag“ des irischen Künstlers John Gerrard, die kurz davor auf dem Rathausmarkt in Hamburg installiert worden war. Auf einer großen Videowand war ein Fahnenmast mit einer großen schwarzen Rauchfahne in Texas zu sehen. Diese digitalisierte Landschaft spielt auf die allererste Ölbohrung 1901 in Texas an, die den Öl-Boom in den USA und auch unsere Öl-verbrennende Industrie begründete. Der Künstler thematisiert unseren Umgang mit Naturressourcen und spielt zugleich geschickt mit der digitalen Technik. Denn auf den ersten Blick wirkt das Bild auf dieser Riesenleinwand real. Es ist aber digital simuliert, und zwar in Echtzeit. Das heißt, Tag- und Nachtveränderungen verlaufen genauso, wie sie zeitgleich an diesem Ort in Texas stattfinden. Die Installation war Sinnbild für den Wandel der Maschinen von der industriellen Ölmaschine zur Datenmaschine und hätte aktueller nicht sein können.

Dirck Möllmann ist es gelungen, trotz schwieriger finanzieller und infrastruktureller Bedingungen, sowohl lokal als auch international die Diskussion über Kunst im öffentlichen Raum neu zu beleben und um wichtige Fragestellungen zu aktualisieren. Mit seinen Projekten, Veranstaltungen und Diskursen hat er auf die unter anderem durch Globalisierung, Digitalisierung, Migration und ökologische Herausforderungen veränderten Bedingungen und Themen für Stadt und Gesellschaft reagiert. Im nächsten Jahr wird im Adocs-Verlag eine Publikation zu dem Hamburger Stadtkuratorin-Programm erscheinen, die ausführlich das Konzept und die künstlerischen Projekte reflektieren wird.

Das Programm Stadtkuratorin hat Dirck in die Zukunft gedacht, bestand seine Aufgabe doch auch darin, einem Hamburger Modellinstitut für die Kunst im öffentlichen Raum den Boden zu bereiten. Dieses Institut könnte ein Archiv für die Geschichte der Hamburger Kunst im öffentlichen Raum beherbergen, Workshops und Diskussionen über Kunst im öffentlichen Raum veranstalten sowie als Anlaufstelle für all die Projekte dienen, die aus den verschiedenen Bevölkerungsteilen im öffentlichen Raum umgesetzt werden möchten. Derzeit wird genau diese Idee auf Basis des Papiers unseres verstorbenen Stadtkurators weiterentwickelt und nach vorne getrieben. Dirck Möllmann hat das Zeigen von Kunst und die Arbeit mit Kunst stets als gesellschaftlichen Akt begriffen und hinterlässt Spuren, die unauslöschlich sind.

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