Warburg’s Kosmos
Wie künstlerische Konstellationen die Welt erklären

Eventually, everything connects.
Charles Eames

Nur wenige materielle Zeugnisse halten Werk und Wirken Aby Warburgs im Gedächtnis seiner Heimatstadt lebendig. Neben dem Wohn- und dem Bibliotheksgebäude in der Heilwigstraße gehört nur noch eine Ausstellung für das Hamburger Planetarium zu diesen Zeugnissen, die Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde, die kurz nach seinem Tod, am 15. April 1930, eröffnet wurde. Ab 1941 kriegsbedingt eingelagert, 1945 und 1968 vorübergehend wieder aufgebaut, dann bis 1987 verschollen und nach kurzer Ausstellungszeit bis heute als Besitz der Universität Hamburg eingelagert, haben wir es hier mit einem verborgenen Schatz zu tun, den wiederzuentdecken zu den dringendsten und lohnendsten kulturpolitischen Aufgaben der Hansestadt gehört.

Warburg hatte sein »Kosmologikon« eigens für den ehemaligen Wasserturm konzipiert, der Ende der 1920er Jahre das in Hamburg seit längerem gewünschte Planetarium aufnehmen sollte: »Der Wasserturm im Stadtpark scheint mir völlig unbekannte und bisher gewaltsam verdunkelte Leuchtkraft zu besitzen« (Brief an Felix von Eckardt, 3. Oktober 1928). Die in seinen Stellungnahmen aus dieser Zeit auffallende Rhetorik mit Metaphern aus den semantischen Feldern von Sicht und Licht beschwört die erkenntnisleitende Funktion, die Warburg der Verbindung von Wasserturm, Planetarium und Bildersammlung beimaß. 1913 bis 1915 nach Plänen des Dresdner Architekten Oscar Menzel unter der Bauaufsicht Fritz Schumachers errichtet, war der Wasserturm im Hamburger Stadtpark bereits 1924 wieder stillgelegt worden. Für das Gebäude, eingebettet in das volkserzieherische Programm des Stadtparks mit seinen Skulpturen, Sport- und Freizeitstätten, musste daher nach einer neuen Funktion gesucht werden. Mit der Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde sollte ein »Erziehungsmittel für Gebildete und Ungebildete« geschaffen werden, »wie es die menschliche europäische Gesellschaft bisher noch nicht besitzt« (Brief an Landesschulrat Karl Umlauf, 13. Oktober 1928).

Warburg und seine Mitarbeiter entwickelten eine Ausstellung, die in siebzehn Abteilungen vornehmlich anhand von fotografischen Reproduktionen und Gipsabgüssen unterschiedlicher Kunstwerke zeigen sollte, »wie die Menschheit die Gestirne und ihre geheimnisvolle Bewegung bis heute zu deuten und zu erklären versucht hat« (Gertrud Bing u. Fritz Saxl: Die Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde, in: Planetarium. Ein Führer, Hamburg 1930). Aufbau und Abfolge der Ausstellung sowie die Anordnung der einzelnen Schauwände sind von Warburg auf die Möglichkeiten abgestimmt worden, die ihm der Grundriss des Gebäudes zu bieten hatte: »In den Kojen würden nun die Reproduktionen die Aufgabe haben, den Weg von der bildhaft-mythischen zur zeichenmäßig-mathematischen Orientierung im Weltenraum durch die verschiedenen Jahrhunderte und Erdteile entwicklungspsychologisch und historisch zugleich zu illustrieren« (Brief an Karl Umlauf, 13. Oktober 1928).

Das Zyklische in der kulturhistorischen Auffassung Warburgs, die Vorstellung, dass die Menschheit im Verlauf ihrer Geschichte diesen Kreislauf von Magie zur Aufklärung immer von Neuem zu durchwandern habe, fanden ihren ausstellungsarchitektonischen Ausdruck im Grundriss der Hamburger Bildersammlung. Hatte der Besucher die einzelnen Exponate in ihrer historischen Abfolge betrachtet, so befand er sich, den Kreislauf schließend, zuletzt vor derjenigen Schauwand, die mit Johannes Kepler einer Persönlichkeit gewidmet war, deren Wirken sowohl der Astronomie als auch der Astrologie galt. Die Ausstellung wollte mithin deutlich machen, dass auch auf einer hohen Stufe wissenschaftlicher Abstraktion die rationale Distanz des Forschers zu seinem Gegenstand durchaus bedroht sein konnte. Da auch für das Denken Keplers (wie für Warburg selbst) die Spannung polarer Gegensätze wesentlich war, wurde der Gelehrte für den Hamburger Kunst- und Kulturhistoriker zu einer »symbolischen Gestalt jener Kräfte, die den Denkraum schaffen« (Fritz Saxl: Warburgs Mnemosyne-Atlas, 1930). Bauliche Anlage und pädagogische Absicht der Bildersammlung waren damit eng verknüpft, die visuelle Präsentation eröffnete den Blick auf eine geschichtsphilosophische Reflexion: Der Ausstellungsgrundriss war zugleich Grundriss eines kulturwissenschaftlichen Gedankengebäudes. Die Notwendigkeit des einzelnen Menschen, sich durch Sachverstand und Reflexion aus diesem Kreislauf zu befreien, fand dabei ihren metaphorischen Ausdruck im Aufstieg zur angefügten Bibliothek mit Büchern zu astrologiegeschichtlichen Themen, dem Instrument selbständiger Aufklärung. In der Sinnfälligkeit ihres architektonischen Aufbaus war die Ausstellung damit dem »Problemgebäude« der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg vergleichbar (Fritz Saxl: Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg in Hamburg, 1930).

Das Nachleben vorgeprägter Motive, die Bilderwelt der Astrologie, der kulturelle Austausch zwischen Nord- und Südeuropa, die Polarität von bildhafter und abstrakter Welterfassung, kurz, der gesamte Grundkreis kulturwissenschaftlicher Probleme Warburgs und die methodischen Prinzipien ihrer Bewältigung wurden anhand der Ausstellung kartografiert. Die Präsentation im Hamburger Planetarium war durch ihren theoretischen und erzieherischen Zuschnitt, aber auch durch die gewählte Institutsform als Teilsumme der wissenschaftlichen Lebensleistung ihres Urhebers gekennzeichnet: Die Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde wurde nicht nur als Dauerausstellung konzipiert, sie sollte darüber hinaus als veritable Außenstelle der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek dienen.

Warburg betrachtete seine Bildersammlung folgerichtig als einen »Beitrag zur Seelenführung der Jugend, die in eine lichtbringende Schaustellung, nicht aber in ein kurioses Schatzhaus eingeführt werden soll« (Brief an Karl Umlauf, 13. Oktober 1928). In der Lichtmetaphorik dieser Briefstelle spricht sich noch einmal – wie schon in der Wendung von der »gewaltsam verdunkelten Leuchtkraft« des Wasserturms – die aufklärerische Zielsetzung der Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde aus, deren universaler Anspruch und didaktische Funktion sich als Instrument umfassender Volksaufklärung resümieren lässt.

Uwe Fleckner ist Professor für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg und an der China Academy of Art in Hangzhou und Kurator von der Ausstellung Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde im Planetarium Hamburg, 21.6. - 24.8.2025.

Bibliography

Uwe Fleckner: »... von kultischer Praktik zur mathematischen Kontemplation – und zurück«. Aby Warburgs Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde im Hamburger Planetarium, in: Horst Bredekamp, Michael Diers u. Charlotte Schoell-Glass (Hrsg.): Akten des internationalen Aby Warburg-Symposions Hamburg 1990, Weinheim 1991, S. 313-334

Uwe Fleckner et al. (Hrsg.), Aby M. Warburg. Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde im Hamburger Planetarium, Hamburg 1993

Uwe Fleckner: Warburg als Erzieher. Bemerkungen zu einem »Erziehungsmittel für Gebildete und Ungebildete«, in: Uwe Fleckner et al. 1993, S. 316-341

Uwe Fleckner u. Isabella Woldt (Hrsg.): Aby Warburg: Bilderreihen und Ausstellungen, Berlin 2012 (Gesammelte Schriften. Studienausgabe, Bd. II.2)

Uwe Fleckner: Menschengleichnis am Himmel [Kommentar], in: Fleckner u. Woldt 2012, S. 191-195

Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde, in: Fleckner u. Woldt 2012, S. 389-460

Uwe Fleckner: Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde [Kommentar], in: Fleckner u. Woldt 2012, S. 389-395

Uwe Fleckner: La valeur éducative des reproductions photographiques. La »Collection d’images sur l’histoire de l’astrologie et de l’astronomie« d’Aby Warburg au planétarium de Hambourg, in: Transbordeur. Photographie, histoire, sociéte 2/2018, S. 78-91

Uwe Fleckner: From Mythical to Mathematical Orientation: The »Cosmologicon« of the Hamburg Planetarium as a Branch of the Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg, in: Art Research Journal 9/2022 (Themenheft »Dossiê Warburg: contribuições ao Simpósio Internacional Warburg 2019, Buenos Aires«), https://periodicos.ufrn.br/artresearchjournal/issue/view/1223

Alexander Honold: Mars regiert. Aby Warburg und das Planetarium des Krieges, in: Vorträge aus dem Warburg-Haus 15/2021, S. 53-76

Uwe Fleckner: The Hamburg Planetarium as a Problem Building, in: Tim Anstey u. Mari Lending (Hrsg.): Warburg Models. Buildings as Bilderfahrzeuge, Berlin 2023, S. 69-71

Aby Warburg Ausstellungsansicht Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde, Hamburg, Planetarium, 1930, Fotografie @ Archiv von Uwe Fleckner, Hamburg