Die Festrede wurde von Nora Sternfeld am 28. November 2022 anlässlich des 41. Jubiläums des Hamburger Programms für Kunst im öffentlichen Raum im Metropolis Kino der Hansestadt gehalten
„Aus dem, was gewesen ist, lässt sich niemals auf etwas schließen, was das legitimiert, was ist.“ [1] Mit diesem Satz von Jacques Rancière ließen sich die 41 Jahre überschreiben, die Kunst im öffentlichen Raum Hamburg nunmehr zählt, 41 Jahre der Einladung zur Versammlung und Auseinandersetzung im öffentlichen Raum. 41 Jahre der konsequenten Verfolgung der unmöglichen Aufgabe, Kunst als das zu verstehen, was eben nicht legitimiert, was ist.
Sehr lange – und natürlich schon lange bevor vor 41 Jahren unter dem Leiter des Hamburger Kunstvereins Uwe M. Schneede „Kunst am Bau“ zur reflexiven und intervenierenden „Kunst im öffentlichen Raum“ wurde – diente Kunst im Stadtraum gerade der Legitimation dessen, was war, also der jeweils bestehenden Macht- und Gewaltverhältnisse, der Monarchien und Oligarchien, der Feldherren, der bürgerlichen Kunstverständnisse. So hatten Künstler, Straßen und Plätze zur Repräsentation und Ehrung der bestehenden Verhältnisse bestückt. Dies geschah vor allem mit plastischen Darstellungen von Figuren von weißen, mächtigen und sicherlich für die jeweiligen Verhältnisse sehr wichtigen Männern, die auf Pferden saßen oder stolz auf Sockel standen, mit der Hand am Herzen oder mit gezücktem Schwert, die alsBüste oder Statue in Stein und Bronze beeindrucken sollten, oder auch einfach da sein sollten, um eben zu legitimieren was ist, denn so genau, das wissen wir von Robert Musil, hat sich die Darstellungen eigentlich niemand angesehen. [2]
Das machte sie aber vielleicht gerade so mächtig, legitimierend und ideologisch – versteinerte Macht, die hingenommen wird, als wäre sie immer schon so, wie sie ist, und müsste so bleiben. Was diese Manifestationen jedenfalls nicht sollten, war zum Denken anregen oder Fragen aufwerfen, die möglicherweise, das was ist, diskutierbar machen würden.
Genau das aber wiederum scheint nun der Motor und der rote Faden zu sein, der Kunst im öffentlichen Raum in Hamburg von Anfang an begleitete. Seit 1981 haben sich die Stadt und die künstlerischen Projekte von Kunst im öffentlichen Raum Hamburg also die unmögliche Aufgabe gegeben zu manifestieren, was gerade nicht legitimiert, was ist. Das Programm startete in den 1980er Jahren mit einer Vision, sich der Geschichte zu stellen, sie anders fortzuschreiben im Geiste demokratischer Prozesse in Kunst und Kultur.
Wir werden gleich nach dieser Rede den Film von Helena Wittmann sehen, der einige dieser Projekte und einige Akteur*innen vorstellt, die sie ins Leben gerufen und/oder begleitet haben. Er beginnt mit Projekten der 1980er und frühen 1990er Jahre, bei denen es um Geschichte geht. Ganz in diesem Sinne ist der erste Schauplatz in Niendorf Thomas Schüttes Tisch mit 12 Stühlen, der 1987 eingeweiht wurde. Nachdem bereits 1984 11 Straßen in Niendorf nach Widerstandskämpfer*innen benannt worden waren, entwarf Schütte einen Steintisch mit überdimensionalen Stühlen aus Klinker, an dem jeder der 11 Personen ein Platz gewidmet ist. Es sind allerdings 12 Stühle; einer ist frei. Eine Einladung, sich dazu zu setzen? Eine Markierung von Fehlstellen? Wir können den Tisch als Aufforderung lesen, die eben nichts legitimiert, auch nicht die deutsche Gegenwart der 1980er Jahre, sondern Erinnerung einfordert, zum Mitreden einlädt und Widerstand thematisiert. Sicherlich könnte ich mir auch widersprechen, und der Tisch könnte heute rückblickend auch legitimierend gelesen werden: Als Überhöhung der Widerstandsgeschichte gegenüber der Verbrechensgeschichte; als Überidentifikation mit dem Widerstand. Aber dafür bleibt doch vieles offen, vieles leer. Wir könnten es besprechen. Allerdings stellt sich bei diesem wie bei vielen anderen Orten der Erinnerung in Hamburg die Frage nach der Dauer, nach der Vermittlung. Oft scheinen sie leer, verlassen und selbst fast vergessen. Und wir kennen mittlerweile die Funktion unsichtbarer Denkmäler. Aber welche Funktion haben unsichtbare Mahnmale? Wie können sie nicht aufhören zu wirken? Welche Aufgabe gibt uns gerade ihr Anspruch, nicht zu legitimieren, was ist? Oder anders und konkreter gefragt: Wie könnte eine Vermittlung von Kunst im öffentlichen Raum Hamburg aussehen?
Diese Frage stellt sich insbesondere auch an die Gegenwart des Harburger Mahnmal gegen Faschismus, Krieg, Gewalt – für Frieden und Menschenrechte von Jochen Gerz und Esther Shalev-Gerz. Zum Zeitpunkt seiner Errichtung 1986 handelte es sich dabei um eine zwölf Meter hohe Stele, die Passant*innen aufforderte, sich durch Beschriftung an der Erinnerung zu beteiligen. Im Zuge dessen wurde der Pfeiler zunehmend in den Boden versenkt.
1992 prägte James Edward Young den Begriff des Gegen-Monuments, den er beispielhaft vor allem in der Praxis von Jochen Gerz und Esther Shalev-Gerz festmachte. [3] Wesentlich für die Projekte dieser Gegen-Erinnerung war, dass sie eine Auseinandersetzung nicht vorwegnehmen und nicht durch monumentale Präsenz ersetzen wollten. Statt diese also gewissermaßen stellvertretend Leuten abzunehmen, sollte eine Wunde offen und die Debatte am Laufen bleiben. Daraus ergaben sich künstlerisch-formale Strategien zwischen Anwesenheit und Abwesenheit: In sieben Sprachen ist auf einer Tafel – die seit der kompletten Versenkung die einzige sichtbare Spur des Gegen-Monuments bleibt – zu lesen:
„Wir laden die Bürger von Harburg und die Besucher der Stadt ein, ihren Namen hier unseren eigenen anzufügen. Es soll uns verpflichten, wachsam zu sein und zu bleiben. Je mehr Unterschriften der zwölf Meter hohe Stab aus Blei trägt, um so mehr von ihm wird in den Boden eingelassen. Solange, bis er nach unbestimmter Zeit restlos versenkt und die Stelle des Harburger Mahnmals gegen den Faschismus leer sein wird. Denn nichts kann auf Dauer an unserer Stelle sich gegen das Unrecht erheben.“ [4]
Das stimmt; aber was ist, wenn sich gar nichts mehr erhebt, wenn der Rest des Gegen-Monuments zwischen Mülleimer und Regenpfütze irgendwo am Harburger Bahnhof niemandem mehr auffällt? Ähnlich ist es eigentlich mit dem Monument von Margit Kahl, Grundriss für die zerstörte Synagoge, [5] das zum 50. Jahrestag der Zerstörung des Gotteshauses in Eimsbüttel am 9. November 1988 eingeweiht wurde. Als ein die Abwesenheit markierendes Bodenmosaik war es von Anfang an ebenso wichtig in seiner Reflexivität wie umstritten und ist es bis heute geblieben. Und doch wird es vor Ort kaum bemerkt.
James Edward Young beginnt seinen Text mit der Beschreibung einer weiteren Arbeit: einer minimalistischen Skulptur von Sol LeWitt, die für die Dauer der Skulptur Projekte Münster 1987 auf dem Schlossplatz vor der Universität in Münster installiert worden war: ein schwarzer Quader mit dem Titel Black Form (Dedicated to the Missing Jews) aus Gasbetonsteinen gemauert.
Haben Sie den schwarzen Block schon einmal bemerkt? Lassen Sie mich Ihnen seine Geschichte erzählen! [6]
Anders als „die deutschen Gegen-Monumente“[7] tdie Young ebenfalls untersucht, ist derQuader von LeWitt raumgreifend und insofern alles andere als eine Negativform, die sich entzieht. Blockartig und breitlagernd war die Black Form in der Beschreibung von Young vielmehr „ungainly“ [8], "plump" und “hard to swallow”[9] –„schwer verdaulich“ und wie sich Sol LeWitt selbst äußerte: “antithetical to its site”[10] – „antithetisch zu ihrem Standort“. Die klare abstrakte Form – in der Höhe menschengroß und in der Breite von keiner Seite optisch komplett erfassbar – konfrontierte die (neo-)barocke Fassade des Schlosses in Münster mit einer Antithese: Nachdem das Schloss in der Nazi-Zeit Sitz des Staatshochbauamtes gewesen und von Alfred Meyer, dem Gauleiter des Bezirks Westfalen- Nord bewohnt worden war, nachdem es im Zweiten Weltkrieg durch Bomben fast gänzlich zerstört und anschließend wiederaufgebaut worden war, nahm sich der Standort der Universität Münster im Jahr 1987 sehr adrett aus – fast so, als wäre nichts gewesen. Und genau darauf, nämlich, dass durchaus etwas gewesen war, macht der Titel aufmerksam: Mit „the Missing Jews“ meinte Sol LeWitt nicht nur die ermordete jüdische Bevölkerung Münsters, sondern vor allem auch all jene ungeborenen Jüdinnen und Juden, die Nachfolgegenerationen, die an der Universität Münster hätten studieren können. Ihnen galt die Widmung im Titel seiner Arbeit.[11]
Black Form ist die erste und er selbst sagt einzig explizit politische Arbeit Sol LeWitts. Diskret politisch ist sie bereits durch den Ort ihrer Aufstellung: Hier stand einst ein Reiterstandbild von Kaiser Wilhelm I, das von Johann Friedrich Reusch und Bruno Schmitz (Architekt des bei den Nazis so beliebten Kyffhäuserdenkmals) entworfen worden war und das für die Kriegsmetallreserve 1942 abgebaut wurde. Politisch im ausdrücklichen Sinn ist Sol LeWitts Skulptur aber vor allem durch ihren Titel. [12] Er macht die minimalistische Skulptur zum interventionistischen Konzeptkunstwerk, als Sprache ist er konzeptueller Teil ihrer schwarzen Form. In dieser künstlerisch-politischen Geste der klaren und unmissverständlichen Benennung – durch das Aussprechen und Explizit-Machen der Antithese – ist implizit noch mehr angesprochen, nämlich die Politik der Abstraktion selbst als Re-Education und damit als Arbeit an der Überwindung des Faschismus mit anderen Mitteln. In diesem Sinne entsteht die politische Dimension der abstrakten Arbeit des US- amerikanischen, jüdischen Künstlers in Deutschland vor einer neuen alten Fassade als Provokation der Form. Vielleicht ist Sol LeWitts Black Form darin sogar viel mehr Gegen- Monument als jene deutschen Erinnerungsmanifestationen, die Young in der weiteren Folge seines Textes untersucht. Bezeichnenderweise verweist die von deutscher Seite gewählte Bezeichnung ,Mahnmal‘ ja auch gar nicht auf eine konfrontative Gegenperspektive, sondern konnotiert vielmehr ihre moralische Dimension: Das Mahnen also, mehr als das Entgegnen, liegt den formalen Strategien einer abwesenden Anwesenheit zugrunde. [13] Sol LeWitts Black Form war demgegenüber völlig unambivalent anwesend. Allerdings nur so lange, bis man sich im März 1988 endgültig gegen den Erhalt der temporären Installation und für ihren Abriss entschied: Denn als Gegen-Monument im wahrsten Sinne des Wortes löste Black Form von Anfang an Kontroversen aus, wurde mit politischen Slogans und Graffiti beschmiert und konnte trotz zahlreicher Bemühungen von progressiver Seite in Münster keinen dauerhaften Standort finden. Die Arbeit fand dann hier ein Nachleben im Rahmen von Kunst im öffentlichen Raum Hamburg: Sie wurde bereits 1989 in vergrößertem Format am Platz der Republik vor dem Altonaer Rathaus in Hamburg aufgestellt. [14] Aber wer kennt heute noch diese Geschichte?
Vielleicht können wir die Arbeit von Barbara Schmidt-Heins „Die eigene GESCHICHTE“ aus dem Jahr 1992 – die im Film von Britta Peters vorgestellt wird und die, wie mir und Ihnen wahrscheinlich auch bereits aufgefallen ist, fast [15] die erste weibliche künstlerische Position in dieser Liste ist – vielleicht können wir „Die eigene GESCHICHTE“ also auch unter anderem im oben beschriebenen Sinne als Auslöser von Fragen verstehen. Wessen Geschichte eben? Eine groß geschriebene Geschichte verweist auf die vielen komplizierten Verhältnisse zwischen dem Eigenen und der Geschichte. Wer schreibt Geschichte? Was fehlt? Wie wird dabei das Eigene und das Andere gelesen? Was ist die Geschichte der deutschen Züge? Was ist überhaupt Geschichte? Und was hat sie mit mir zu tun? An drei Stellen entlang der Fern- und S-Bahn-Linie zwischen Altona und Harburg ist die Arbeit konzeptuell vor allem aus dem Zug zu sehen: am Telekom-Gebäude am Fernsehturm, zwischen den S-Bahn-Stationen Sternschanze und Dammtor, an der Stützmauer an der Hamburger Kunsthalle, Nähe Hauptbahnhof; zu Fuß immerhin auch von der Ernst-Merck-Brücke aus einsehbar und am Harburger Busbahnhof an der Mauer zu den Bahngleisen hin. So ist sie in der Stadt zugleich präsent und immer nur auf dem Weg lesbar.
Die Ambivalenz von Anwesenheit und Abwesenheit prägte jedenfalls den Diskurs der Kunst im öffentlichen Raum weiter in den 1990er und frühen 2000er Jahren. Auch hier sollte im Sinne einer postrepräsentativen Dematerialisierung eine kritische Auseinandersetzung nicht zu einer Musealisierung und Petrifizierung führen – eben nicht zu einer versteinerten Legitimierung dessen, was ist. Entsprechend widmete sich Stephan Schmidt-Wulffen als legendärer Leiter des Kunstvereins Hamburg auch der Auseinandersetzung mit der Geschichte von Kunst im öffentlichen Raum in Hamburg selbst. Er prägte Projekte, die in prozessualen Formen die scheinbare Selbstverständlichkeit der Verhältnisse in den Blick kommen ließen und setzte auf experimentelle Ansätze der Einmischung in den Alltag. Seine mehrteilige Ausstellung Außendienst stellte die Frage nach der Öffentlichkeit nicht als das, was da draußen ist, sondern als das, was zwischen uns geschehen kann. Das Prozessuale sollte sich im Ephemeren zeigen. Britta Peters spricht im Film, den wir sehen werden, über die Geschichte von Kunst im öffentlichen Raum und ihre besten Zeiten als „Bilder und Erfahrungen, an die man sich erinnert“.
Schmidt-Wulffen hatte mit Achim Könneke in der Kooperation von Kulturbehörde und Kunstverein einen sehr vertrauensvollen Mitkämpfer gefunden. Und so folgte auf „Außendienst“ das Projekt „weitergehen“. Die prozessuale Ausrichtung ging in der anspruchsvollen kuratorischen Konstellation zwischen künstlerischer und städtischer Zusammenarbeit auch tatsächlich weiter: Kunst sollte die Möglichkeit haben, Stadt mitzuentwickeln.
Gleichzeitig hatte sich in Hamburg mit der Recht-Auf-Stadt-Bewegung und „Kein Mensch ist illegal“ eine künstlerische Politik und politische Kunst der Straße etabliert. Vor diesem Hintergrund gelang es nun an der Schnittstelle von Kunst und Aktivismus die Idee von Kunst im öffentlichen Raum voranzutreiben. Paradigmatisch dafür steht die Wunschproduktion von Park Fiction: Hier treffen sich emanzipatorische Partizipation, urbaner Aktivismus und reflexive künstlerische Praxis. Die kollaborativen Prozesse erhalten mit Park Fiction eine urbane Ästhetik, einen Ort des Verweilens, des Versammelns und Auseinandersetzens. Mitinitiator und Ideengeber für Park Fiction ist der Künstler Christoph Schäfer, der im Kollektiv unter anderem mit der Aktivistin und Filmemacherin Margit Czenki das Projekt bis heute lebendig hält. Hier ist es mehr als bei allen anderen Projekten gelungen die künstlerische Intervention in ihrer Kraft stets in der Gegenwart zu aktualisieren und eine Dauer zu erzeugen. Kunst im öffentlichen Raum schafft in diesem Fall Kontexte, um Raum anders und gemeinsam, radikaldemokratisch zu denken. „… die Wünsche werden die Wohnung verlassen und auf die Strasse gehen …“ [16], heißt es in diesem Sinne in Referenz auf den Filmtitel von Margit Czenki auf der Website von Park Fiction.
Daran knüpfte Sophie Goltz als Stadtkuratorin 2013–2016 an, die unter anderem Demonstrationen gemeinsam mit der Silent University – eine von dem Künstler Ahmet Öğüt ins Leben gerufene translokale Plattform zur Schaffung intellektueller Lehr- und Lernräume für Geflüchtete – und anderen Initiativen gegen Obdachlosigkeit, für das Recht auf Stadt und ein Bleiberecht im Sinne von „Kein Mensch ist illegal“ organisierte. Dabei wurde auch das Programm Kunst im öffentlichen Raum Hamburg selbst öffentlich in Form von einer Ausstellung und in Veranstaltungen reflektiert. Ausgehend davon erarbeitete Sophie Goltz einen Vorschlag, wie sich das Programm institutionell als urbane Kunst in Hamburg weiterdenken ließe. Welche Wünsche sollten also auch in diesem Zusammenhang auf die Straße gehen?
Die Stärken der Projekte zeigen sich sicherlich gerade da, wo es mittlerweile über vier Jahrzehnte gelungen ist, trotz der Neoliberalisierung der Städte, trotz der zunehmenden Ökonomisierung der Bildung und der Kunst und trotz der Festivalisierung der Kultur und auch gewissermaßen in Auseinandersetzung mit dieser eine Dauer zu erzeugen, in der immer wieder neu und der Zeit entsprechend Öffentlichkeit verstanden und hergestellt wurde – Öffentlichkeit für Denk- und Handlungsräume, die eben nicht legitimieren wollten, was ist. Das ist erstaunlich, ungewöhnlich und besonders, und es lässt sich wohl nur dadurch erklären, dass von Anfang an Stadtteilvertreter*innen in Komittees mit Kunstfachleuten zusammen gedacht haben und zwar so ernsthaft, intensiv und dauerhaft, dass über die Gremien eine kontra-faktische Kontinuität gelungen ist, bei der Vertreter*innen der Stadt kunsthistorisch und durch die Gegenwartskunst gebildet wurden. Sie haben Partei für einen experimentellen Kunstbegriff ergriffen und haben vor dem Hintergrund der damit verbundenen Fragen gegenläufige Konzepte zu den Verwertungslogiken des klassischen Städtemanagements und Marketings mitvorangetrieben. Sie haben sogar dazu beigetragen jeweils in ihrer Zeit – bis zum letzten und leider verstorbenen Stadtkurator Dirck Möllmann – dass Künstler*innen in temporären, imaginativen und aktivistischen Projekten gegen diese Logiken arbeiten konnten.
Zugleich ist gerade was die errinerungspolitischen Arbeiten betrifft vieles in Vergessenheit geraten und so scheint diese Kontinuität zuweilen eher passiert als institutionalisiert worden zu sein. Welche Wünsche sollten also auch in diesem Zusammenhang auf die Straße gehen?
Eine geschichtspolitisch-künstlerische Auseinandersetzung mit der kolonialen Gewalt, ihrem Nachleben in die Gegenwart und damit verbundenen kolonialen Einschreibungen in den Hamburger Stadtraum steht weitgehend aus. Zahlreiche Denkmäler und Häuser, Brücken und Erinnerungsorte haben hier in Hamburg allzu lange legitimiert, was ist. Und viele wichtige geschichtspolitische Interventionen, die an die Verbrechen der Nazi erinnern, sind wiederum – wie wir gesehen haben – auf fast traurige Weise kaum mehr sichtbar, kaum mehr bekannt.
Darüber hinaus hat sich die Idee der Öffentlichkeit verändert. Die Entstehung von öffentlichen Räumen unter Bedingungen zunehmender Privatisierung des Öffentlichen ist prekär und manchmal ironisch. Sie ist aber vielleicht wichtiger denn je und wirft Fragen nach den digitalen, materiellen und kulturellen Commons auf, nach der Bildung kollektiver Infrastrukturen, aber auch nach der Möglichkeit von Konflikten, die nicht durch Ressentiments organisiert werden. Was könnten nun Infrastrukturen für Kunst im öffentlichen Raum Hamburg sein? Oder anders gefragt: Was wären Infrastrukturen, die eben nicht legitimieren, was ist? Wie und was würden sie möglicherweise translokal vernetzen, verknüpfen, verhandeln? Wie könnten aber auch Konflikte um die Geschichte im öffentlichen Raum öffentlich ausgetragen werden, die derzeit in Deutschland ausstehen?
Wie kann es also nach diesen 41 beeindruckenden Jahren ganz im Sinne von Kunst im öffentlichen Raum Hamburg und daher vielleicht auch ganz anders weitergehen? Eine Zukunftsvision – ausgehend von den Ansätzen von Sophie Goltz – scheint die Entwicklung einer Idee eines urbanen Instituts, das Forschung erlaubt, die in die Stadtentwicklung selbst intervenieren kann, das aber auch vermittlerische und kuratorische Fragen zur Geschichte von Kunst im öffentlichen Raum reflektiert. Zwischen Institution und Para-Institution, zwischen Flüchtigkeit und Dauer könnte eine Dialektik von Experiment und Struktur entstehen, die es ermöglicht, dass die jeweiligen Anstöße und Interventionen, die eben die Öffentlichkeit von Kunst im öffentlichen Raum ausmachen, aktualisiert und reflektiert werden können.
So sehen wir nun einen Film, der uns trotz aller Feierlichkeit auch dazu einladen kann, anlässlich des Geburtstages kritisch in die Zukunft zu blicken. Auch wenn er diese offen lässt, ja lassen muss, können wir beim Zusehen die Fragen mitdenken: Was, vor dem Hintergrund dieser Geschichte, kann die Zukunft von Kunst im öffentlichen Raum Hamburg sein? Welche Infrastrukturen würden wir uns wünschen, die nicht legitimieren, was ist? [17]
[1] Jacques Rancière, Das Unvergessliche. In: Ders., Geschichtsbilder, Berlin 2013, S. 7.
[2] “„Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler“, Robert Musil, Nachlaß zu Lebzeiten, Reinbek bei Hamburg, 24. Auflage 2004, S. 62.
[3] James Edward Young, "Counter-Monuments. Memory against Itself in Germany Today”, in Critical Inquiry, Vol. 18, No. 2. (Winter, 1992), pp. 267–296.
[4] https://fhh1.hamburg.de/Behoerden/Kulturbehoerde/Raum/artists/gerz.htm [30.11.2022].
[5] Vgl. Julia Mummenhoff, Margrit Kahl, Synagogenmonument 1988, https://fhh1.hamburg.de/Behoerden/Kulturbehoerde/Raum/artists/kahl.htm [30.11.2022], „Zum 50. Jahrestag der Zerstörung des Gotteshauses, am 9. November 1988, wurde das von Margrit Kahl (geb. 1942) gestaltete Synagogenmonument eingeweiht. Eineinhalb Jahre, von 1986 an, hatten die Planungen für das Bodenmosaik inAnspruch genommen, begleitet von Gesprächen der Hamburger Künstlerin mit Vertretern der jüdischen Gemeinde, der Kulturbehörde, der Baubehörde und dem Katasteramt. Ein erster Entwurf, der vorsah das hebräische Wort „Awoda“ (= Dienst, insbesondere Opferdienst im Tempel zu Jerusalem, später wurde dieBezeichnung auf den Gottesdienst in Synagogen übertragen) als Mosaik in den Boden einzulassen, wurde von der jüdischen Gemeinde abgelehnt. Es bestanden große Zweifel sowohl an der Eignung des von der Künstlerin gewählten Wortes als auch an dem Gestaltungsprinzip: Hebräische Schriftzeichen sind heilig und dürfen auf keinen Fall mit den Füßen getreten werden.“
[6] Der folgende Teil zu Sol LeWitt stammt weitgehend aus: Nora Sternfeld, Münsters Gegen-Monumente. In: Hermann Arnhold, Ursula Frohne, Marianne Wagner (Hg.), Public Matters: Debates & Documents from the Skulptur Projekte Archives, Köln 2019, S. 213–228.
[7] Young, 1992, S. 57.
[8] Sol LeWitt, zitiert nach Martin Friedman: „Construction Sights“ in Gary Garrels (Hrsg.): Sol LeWitt. A Retrospective [Ausstellungskatalog, San Francisco Museum of Art], New Haven/London: Yale University Press 2000, S. 49–59, Zitat von S. 57.
[9] Ebd.
[10] Ebd.
[11] Siehe dazu zum Beispiel: Susanne Hagemann, Dedicated to the Missing Jews. In: Stadtblatt, Nr. 23, 12.–25.11.1988, S. 20–21, hier S. 21. LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster/Skulptur Projekte Archiv, Ex87-2/52–53.
[12] „This was the only political art that I made and the only political thing about it was the title, but I thought I owed it to the Germans – and the Jews – to make one comment“, Sol LeWitt zit. nach: Martin Friedman: Construction Sights, in: Gary Garrels (Hg.): Sol LeWitt. A Retrospective [Ausst.-Kat. San Francisco Museum of Art], New Haven/London: Yale University Press 2000, S. 49–59, hier S. 58.
[13] Young hat das Paradox der ,Gegen-Erinnerung gegen diese selbst‘, die eigentlich unmöglich ist, ja so erstaunt herausgearbeitet. Inwieweit das Mahnen dem Entgegnen bei zahlreichen deutschen Mahnmalen möglicherweise auch im Wege stand, kann hier nicht herausgearbeitet werden, wäre aber an anderer Stelle noch zu untersuchen.
[14] Mehr dazu in dem insgesamt sehr aufschlussreichen Text: Angeli C. F. Sachs: Neue Formen der Erinnerung.Zwei Mahnmale von Jenny Holzer und Sol LeWitt in Deutschland, in: kunsttexte.de, Nr. 3, 2002, S. 1–8; https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/8058/sachs.PDF [30.11.2022].
[15] Bis auf Esther Shalev-Gerz, die aber immer nur neben ihrem Partner genannt wird, der sich mit dem Monument einen viel größeren Namen machen konnte.
[16] https://park-fiction.net/ [30.11.2022].
[17] Vielen Dank an Sophie Goltz, Carina Herring, Stephan Schmidt-Wulffen, Anja Steidinger und Julia Stolba für das Zusammen-Denken in diesem und vielen anderen Zusammenhängen.